Vorhang auf und einfach zurücklehnen: Richard Siedhoff liebt den verheißungsvollen dunklen Kinosaal – auch, wenn er darin seiner Arbeit nachgeht. Denn der 35-Jährige ist ein gefragter Stummfilmpianist und begleitet auf seinem Instrument live zu ihrem Flimmern faszinierende Bilder aus einer anderen Zeit auf der Leinwand.
Richard Siedhoff ist Stummfilmpianist
Der gebürtige Weimarer ist seiner Heimatstadt stets treu geblieben und stammt aus einer Künstlerfamilie. „Mein Vater ist Gitarrist und Komponist und hat mich schon früh hinter diverse Theaterkulissen und auf seine Konzerte mitgenommen. Ich lernte ab meinem siebten Lebensjahr Klavierspielen und irgendwann als Jugendlicher interessierte ich mich mehr und mehr für die klassische Musik, stöberte in der Bibliothek in Partituren und versuchte zu verstehen, was da geschrieben stand“, rekapituliert Richard. „Ich war schon damals Filmfreak und diese haptische Technik faszinierte mich. Also kaufte ich mir einen Super-8-Projektor und Filme dazu und probierte herum. Ich merkte, dass Filme in verschiedensten Fassungen kursieren und sehr unterschiedlich aussehen können. Als unser Kino dann einige 16mm-Projektoren aussortierte, war es um mich geschehen.“
Debüt in Theaterscheune Teutleben
Sein Kino, das ist das Lichthaus in Weimar. Los ging es allerdings woanders: Nach seinem Debüt in der Theaterscheune Teutleben sammelte er – als der eigentliche Pianist ausgefallen war – seine ersten Erfahrungen in der Live-Begleitung eines Stummfilms im Mon Ami: „Metropolis“ (1927) von Fritz Lang. Das war 2008. Im selben Jahr begleitete er noch „La Passion de Jeanne d’Arc“ (1928) und zwei Monate später „The Cameraman“ (1928) von Buster Keaton – beide im Lichthaus-Kino, das bis heute seine Heimstätte geblieben ist, in der er regelmäßig filigran als auch dramatisch in die Tasten greift.
Wenn er nicht hier spielt oder gerade – wie erstmals 2012 – im Filmmuseum München oder auf den Internationalen Stummfilmtagen in Bonn musiziert, tourt Richard quer durch Deutschland. Im Gepäck: Sein eigener Projektor und eine Auswahl von mehreren Dutzend Spiel- und Kurzfilmen, die er gesammelt hat. „Einige der Kopien habe ich vervollständigt oder aus mehreren Kopien zusammengesetzt, da ich immer darauf bedacht bin, dem Publikum keine Fragmente und natürlich ansehbare Bildqualität zu liefern“, so Richard und ergänzt süffisant: „Das analoge Kino übt beim Publikum immer einen ganz besonderen Reiz aus. Denn ‘beamen’ kann ja jeder.“
Komödien oft Herausforderungen
Bei seinen Live-Begleitungen von Stummfilmen setzt er auf eine Mischung von Improvisation und Komposition, die sich – wenn Recherchen in Archiven dazu etwas hergeben – an der Original-Filmmusik orientiert. „Früher habe ich mir pro Film immer eine Woche Zeit genommen, heute geht das schon schneller. Meist komponiere ich dann Leitmotive, also Erkennungsmelodien – pro Film vielleicht drei bis 20 Themen und Motive – die ich dann dem Film konzipiert improvisiert zuordne und variiere“, so Richard, der dabei auch dramaturgische Spannungsbögen und Entwicklungen des Plots berücksichtigt. Besonders Komödien stellten dabei oft große Herausforderungen dar, wortwörtlich den richtigen Ton zu treffen.
Nur musikalisches Fundament vorhanden
Ein großer Coup ist dem studierten Musikwissenschaftler und profunden Kenner der Film(musik)geschichte 2018 geglückt, als es ihm gelang, die originale orchestrale Filmmusik zu Paul Wegeners Stummfilm-Klassiker „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (1920) zu rekonstruieren. „Ich entdeckte in einem Archiv-Klavierauszüge mit einigen Hinweisen zur Orchestration. Diese sogenannte Klavierdirektion diente dem Kapellmeister als Partitur. Das heißt, es steht nur das musikalische Fundament drin zusammen mit mal mehr, mal weniger Hinweisen, welche Instrumente welche Melodie übernehmen, damit der Dirigent ihnen den Einsatz geben kann.“
Festival Camposanto in Buttstätt
In den nächsten Tagen begleitet Richard auf dem Festival Camposanto in Buttstätt live zwei Stummfilme: „Buster Keaton, der Matrose“ („The Navigator“, 1924) von Buster Keaton – „in einer nigelnagelneuen 16mm-Kopie“, versichert Richard – und Murnaus stilprägenden „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“ (1922). Gerade zu Letzterem passt auch der Veranstaltungsort: ein historischer Friedhof, in dem die Bänke fürs Publikum zwischen schrägen, halbverwitterten Grabsteinen stehen. An ihnen haben zwar keine Vampire, dafür aber der Zahn der Zeit unerbittlich genagt – wie an einigen Filmkopien der Stummfilmzeit.
Hard Facts:
- Stummfilm mit Live-Musik: „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ mit Stummfilmpianist Richard Siedhoff
- Camposanto Festival | Buttstädt
- Juli | 21 Uhr
- Mehr: www.richard-siedhoff.de