Endorphine strömen durch meinen Körper. Ich kann mir ein Grinsen im Gesicht einfach nicht verkneifen. Meine Technofreundin und Festival-Begleiterin Caro geht es ähnlich. Um uns herum: Tausende Menschen, die (hoffentlich) genauso fühlen. Die Lichter blinken von allen Seiten. Bühnen-Scheinwerfer strahlen unkontrolliert in alle Richtungen. Und dazu dieser geniale Sound …
SonneMondSterne Festival in Saalburg
Allesamt tanzen wir mit voller Inbrunst in Richtung Second Stage, der zweitgrößten Open-Air-Bühne beim SonneMondSterne-Festival (SMS). Es ist 4 Uhr. Die englische DJ Paula Tempel verlangt uns alles ab. Laut einer oft zitierten Trainingspuls-Formel liegt der ideale Puls beim Sport bei 180 minus das Lebensalter. Bei mir liegt er gerade bei circa 148. Das passt so ungefähr. Und genauso schnell, wie mein Puls pumpt auch der Bass. Harter Technosound. Etwa 148 Beats pro Minute (BPM). Das ist schnell.
Paula Temple holt mich ab
Zum Vergleich: Helene Fischers „Atemlos durch die Nacht“ hat etwa 128 BPM. Und atemlos bin ich auch. Seit einer Stunde tanze ich rapide und leicht abschüssig im Sand. Dort, wo meine Füße den Boden berühren, entstehen bereits Kuhlen. Egal. Ich muss tanzen. Der Beat von Paula Temple holt mich genau jetzt in diesem Moment so ab, wie ich es brauche. Sie ist rückblickend gesehen mein Highlight beim SMS. Gegen 4.15 Uhr sage ich zu meiner Begleiterin scherzhaft: „Caro, ich muss jetzt gehen. Sonst bekomme ich einen Herzinfarkt!“ Meine Knie schmerzen. Ich bin müde. Und auf Bier für fünf Euro hab‘ ich jetzt auch keine Lust mehr.
Das größten Technofestival in Ostdeutschland
Alles beginnt mit dem ersten Blick. Die Liebe. Die Freundschaft. Das Festival. Am Freitag um 13 Uhr fahren wir am letzten Dörfchen vor Saalburg vorbei. Wir passieren Zoppoten sowie das Gasthaus „Ratte“, das auf einem leichten Hügel thront. Und da ist es. SonneMondSterne rückt in unser Blickfeld. Eine überdimensionale Zeltstadt, die einmal im Jahr für ein Augustwochenende aus dem Boden gestampft wird. 40.000 Festivalbesucher. Gefühlt ähnlich viele Zelte. Der erste Blick auf das SMS verursacht Gänsehaut. Einen kurzen Freudenschrei kann ich mir nicht verkneifen. Gleich sind wir da. Auf dem größten Technofestival in Ostdeutschland. Und das hat es laut Philipp Helmers, dem Pressesprecher der Megaveranstaltung, in sich. 2000 Mitarbeiter. 20 Kilometer Bauzaun 11 Kilometer Aluminiumstraße. Unzählige Kilometer Kabel. Millionen LEDs, Strahler und mehr … Besonders die Strombeschaffung gestalte sich schwierig. „Das Netz gibt das nicht her, was wir an Strom verbrauchen“, sagt er im Interview. Deshalb gibt es zusätzlich allein auf dem Festivalgelände über 20 riesige Aggregate, welche die Bühnen mit Strom für riesige Bildschirme, Dutzende Scheinwerfer und meterhohe Boxentürme versorgen.
Die Vielfalt des Festivals
Überdimensionale LED-Wände umschließen die Main Stage, die größte Bühne auf dem SMS. Über diese, wie auch über die LED-Wände in den kleineren Dancefloors flimmern von Freitag, 18 Uhr, bis Sonntag um 5 Uhr die wildesten Animationen und Visuals. „Die Künstler wollen das“, sagt Phillipp, der erklärt, dass es mit Weltstars wie Martin Garrix vorab wochenlange Absprachen gibt. Alles muss durchgestylet sein. Für jede Bühne gibt es einen extra Stage-Designer, Elektriker, Bühnenbauer, Techniker, Stage-Manager und ein sogenanntes „Front of House“. Das sind Leute, die gegenüber der Bühne aufgebaut sind und im richtigen Moment das Feuerwerk oder die Flammenwerfer starten. Alles ist protokollarisch durchgetaktet. Bei der Ankunft geht es da schon etwas wilder zu. Gegen 14 Uhr kommen wir auf unserem Zeltplatz an. Vorher kämpften wir uns durch einen Ameisenhaufen. Menschen laufen kreuz und quer, reagieren auf das Auto, erst kurz bevor wir sie überfahren. Mit fünf Stundenkilometern! Zelte und Autos stehen eng an eng. Doch selbst die Ameisenkolonie hat sichtbare Strukturen.
SonneMondSterne ist seit Jahren ausverkauft
Die SMS-Planer lenken die Massen seit Mittwoch um 10 Uhr in die vorgegebenen Bahnen. „Die Ersten kommen schon am Dienstagabend an“, schmunzelt Philipp. Wenn sich die Tore öffnen, ist der kilometerlange Stau schon vorprogrammiert. „Aber alle machen mit, sind fröhlich und kooperativ“, sagt der SMS-Sprecher, der uns zudem verrät, wie groß das Einzugsgebiet des Festivals ist. „Wir können es anhand der Onlinekäufe sehen.“ Wohlgemerkt: Alle 40.000 Karten wurden vorab online erworben. SonneMondSterne ist seit Jahren bereits lange im Voraus ausverkauft. „Etwa zehn Prozent gehen ins europäische Ausland. Die meisten Besucher reisen aus Bayern, Baden-Württemberg und den alten Bundesländern an“, konstatiert Philipp. So etwas Ähnliches konnte ich mir bereits denken. Beim obligatorischen Gang über den lauten Campingplatz unmittelbar in der Nähe des Festivalgeländes sehe ich zahlreiche Nummernschilder aus Fürth, Nürnberg und so weiter.
Die Temporäre Zeltstadt
Apropos temporäre Zeltstadt. Es ist jedes Jahr ein Schauspiel, das seinesgleichen sucht. Die Kulisse besteht aus einem bunten Konglomerat an verstaubten Fahrzeugen. Dort, wo Sofas herumstehen und größere Gruppen sich unter Pavillons vor der UV-Strahlung schützen, ist viel los. Vorbei am Skywalkerweg ein Stück über den Paneten-gürtel Süd auf der Betastraße Richtung Weltraumbahnhof zieht es Caro und mich. Von Techno und Hardtekk über House und Rave bis hin zu Hip-Hop und Ballermannhits wird uns auf dem Zeltplatz alles um die Ohren geballert, was möglich scheint. Alle fünf Meter neuer „Krach“, der uns die Kommunikation erschwert. Das Highlight: Zwei Camps, eines links der Betastraße, eines rechts–, bekämpfen sich mit verschiedenen Musikrichtungen. Boxen frontal gegeneinander gerichtet. Eine unbeschreibliche Kakophonie.
Das „Jurassic Festival“
Egal, ich hab‘ Spaß. Caro hat Spaß. Um uns herum offenbar alle anderen auch. Sie duellieren sich beim Tauziehen, kämpfen wie Luke Skywalker und Darth Vader mit Pavillon-Stangen gegeneinander, springen auf eigens mitgebrachten Trampolinen, üben sich im Bogenschießen und spielen Bier Pong (ein Spiel, bei dem man dem Alkoholkonsum frönt und mit einem Ball gegnerische Becher treffen muss). Die ganz Harten saufen durch einen Trichter. Vorsichtig gesagt: Alle sind ausgelassen. Mein persönliches Highlight war ein Campingplatz-Spiel, das ich so noch nicht gesehen habe: Flunkyball im T-Rex-Style. Alle Mitspieler bekommen ihre nach oben an-gewinkelten Arme an den Oberkörper getapet oder gebunden, sodass sie nur noch ihre Handgelenke bewegen können. In dieser T-Rex-artigen Haltung müssen sie nun alle üblichen Flunkyball-Aufgaben bewältigen. Das heißt, mit einem Ball auf eine Flasche schießen und Bier aus einer Dose trinken. Der Spaß ist garantiert. Das „Jurassic Festival“ ist eröffnet.
Festivaltrendsetter am ganzen Körper
Und weil so ein Dino-Dasein auf dem SMS ohne Schmuck recht glanzlos erscheint, legt sich die berauschte Menge ganz schön ins Zeug. Es glitzert und funkelt der ganze Körper. Was bei den vergangenen Festivals der Glitzer, sind in diesem Jahr aufklebbare Strasssteinchen. Festivaltrendsetter ist, wer seine Stirn oder gar das ganze Gesicht mit lila-farbenen, rosafarbenen und silbernen Plastikdiamanten schmückt. Das Ganze dann bitte noch mit goldenen Abzieh-Tattoos unterstreichen und wahl-weise Hüte in Form von Tieren oder einfach nur Bierkartons auf den Kopf gepackt und die Party kann starten. Die Party-Ultras ergänzen das noch mit Edding-Tattoos am ganzen Körper. Für mich und meine Begleitung ist das nichts. Schließlich wollen wir ausgiebig tanzen und gute Musik hören. Da ist überflüssiger Chi-Chi fehl am Platz. Aber das kommt wohl erst, wenn man älter ist. Die Erfahrung zeigt: Umso jünger das Publikum, umso bunter und experimentierfreudiger ist es offenbar. Ich will dafür natürlich nicht meine Hand ins Feuer legen. Wofür ich jedoch meine Extremitäten verbrennen würde, sind gute Sounds. Wobei Musik natürlich Geschmacksache ist …
Wenn Musik zur Religion wird
Die Klänge, die mir von der Main Stage entgegenschallen, sind nicht unbedingt mein Ding. Einzig „Lexy und K-Paul“ holen mich ab. Das Musikerduo ist traditionell immer am Freitag um 19 Uhr am Start und alteingesessen. Darüber hinaus erscheinen mir die Auftritte auf der größten Bühne mit Ausnahmen recht flach Ich finde, Songs wie „Lemon Tree“ von „Fools Garden“ oder „Africa“ von Toto müssen nicht unbedingt mit fetten Bässen angereichert werden. Wer jedoch die ganz große Show sehen und eher chart-taugliche Tanzmusik hören will, ist eindeutig an der Main Stage gut aufgehoben. Und scheinbar ist das der Großteil der Festivalbesucher. Abertausende Menschen goutierte die elektronische Hitparaden-Musik mit tosendem Beifall und Jubelstürmen.
„Da verdrücke ich schon ein Tränchen“
Ich mag Techno und da hat das SonneMondSterne einiges zu bieten. Meine Highlights sind DJs wie Kobosil, Reche und Recall sowie Amelie Lens. Die Damen der Schöpfung überzeugen 2022 besonders. Qualitativ hochwertige elektronische Klänge servieren Musikerinnen wie Amelie Lens, Charlotte De Witte, Nina Kravitz und eben Paula Temple. Da fühle ich ähnlich wie Philip Helmers, der sagt: „Da verdrücke ich schon ein Tränchen“, wenn nach zwei Jahren Coronazwangspause der Boden vibriert, weil die Bässe den Puls bestimmen, zehntausende Füße im Gleichtakt ein Party-Erdbeben lostreten und Menschenmassen atemlos die Techno-DJs am Saalburgbeach wie gottgleiche Religionsstifter anbeten …
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