Sechs Jahre nach dem letzten Album „III“ (2016) melden sich Moderat mit ihrem vierten Werk MORE D4TA zurück. Moderat sind Apparat (Sascha Ring) und Modeselektor (Gernot Bronsert und Sebastian Szary). Beide Acts stehen für die Berliner Elektronikszene jenseits der geraden Bassdrum. Modeselektor sind die Großmeister der unterirdischen Bässe und elektrisierenden Breakbeats, Apparat ist der Feingeist der elektronischen Popmusik.
Moderat tritt in Leipzig auf
Mit dem neuen Album MORE D4TA, das am 13. Mai erscheint, zieht uns die Band mit ihrer unverkennbaren Soundästhetik sofort wieder in ihren Bann. Emotionsgeladener Pop mit sphärischen Melodien und überirdischen, fragilen Gesang trifft auf pulsierende Soundscapes. MORE D4TA ist eine musikalische Reflexion der letzten zwei Jahre, in denen Isolation und mediale Informationsflut zum permanenten Grundrauschen geworden sind. In einer Zeit, in der wir pausenlos mit Content bombardiert werden und kulturelle Debatten auf Plattformen geführt werden, die mehr Interesse an unseren Daten haben als an der Kunst, kann man sich schnell überfordert und desillusioniert fühlen. Am 17. Mai treten Moderat in Leipzig im Werk2 auf. Wir sprachen vorab mit Gernot Bronsert über Experimente, Theatralik und besondere Vögel.
Hey Gernot, ihr seid ja regelmäßig in der t.akt, auch wenn ihr mit eurem anderen Projekt Modeselektor unterwegs seid. Schön, jetzt auch mit dir über die neue Modert-Tour zu sprechen.
Klar. Immer gerne. Aber eins gleich vorweg: Ich bin ein bisschen durch den Wind. Nicht, dass du dich wunderst, falls ich komische Sachen erzähle (lacht).
Hast du wohl heute schon so viele Interviews gegeben?
Das nicht, aber ich war gestern mit einer Freundin auf der Fashion Week. Sie machte Mode und die Musik. Das ging dann doch ein bisschen länger. Man wird ja auch nicht jünger …
Dann lass mich gleich anfangen. Vielleicht machen die Fragen auch munter. Du und Szary, ihr habt in den vergangenen Jahren viel als Modeselektor gemacht. Nun kam die neue Morderat-Platte raus. Insgesamt mehrere Alben. Ihr wart zur Corona-Zeit ziemlich produktiv. Wie habt ihr selbst diesen Zeitraum wahrgenommen?
Gute Frage. Wir konnten nicht raus auf Konzerte etc. Vorher waren wir stets viel unterwegs und somit abgelenkt. Da fragten wir Freunde, was so in der Welt passiert. Trotzdem hat man manchmal den Anschluss an das richtige Leben verpasst. Das fiel in den vergangenen Jahren aus. Und dann erst Trump, dann Corona, jetzt Putin – wenn so krasse Dinge passieren, gibt es kaum Ausflüchte. Ohne Musik hätten wir das nicht ertragen.
Woher nahmt ihr dann eure Inspirationen für eure aktuelle Platte MORE D4TA? Experimentiert ihr viel?
Total. Schon die Zusammenarbeit mit Sascha ist ein Experiment. Der ist im Studio ein bisschen wie ein Soziopath. Er kann da nicht richtig mit anderen arbeiten. Das verlangt ihm Energie ab, ist aber ein schöner Prozess, weil man sich jedes Mal wieder neu kennenlernt, obwohl man sich schon seit 20 Jahren kennt. Auch der eigene Geschmack ändert sich. Sascha lässt sich beispielsweise von Kunst und Galeriebesuchen inspirieren lassen. Bei mir kam das durch die Flucht ins Studio als eine Art Rückzugsraum, ein Safespace.
Ihr sitzt also im Studio und frickelt gemeinsam rum?
Wir arbeiten mit einer Cloud und schufen ein spezielles System für uns. Da gibt es verschiedene Ordner für jeden von uns, einen Ideen-Ordner mit schon beschlossenen Sachen, einen Beat- oder einen Fragmente-Ordner. Jeder kann zugreifen und hat einen Überblick.
Daraus entstehen dann eure Songs?
Ich versuche, die Sachen zu kombinieren. Sascha ist unser Songwriter. Bei ihm entsteht die Melodie zunächst am Piano. Er arrangiert mit mir zudem die Songs. Szary ist unser Sound-Designer. Wir ergänzen uns ziemlich gut. Schwierig wird es manchmal, weil wir uns die Zeit nicht mehr so einteilen können wie im Alter von 25. Heute haben wir alle Kinder oder andere Verpflichtungen.
Am Ende klappt es aber?
Klar.
Ändert das Älterwerden auch eure Musik?
Natürlich. Die MORE D4TA ist eher ruhiger geworden, obwohl es eigentlich musikalisch vom Tempo her schneller wurde. Wir finden das einfach angemessen. Moderat ist keine richtige Party-Band, wir wollten nicht auf den Dancefloor schielen. Aber wir wollten schon unsere Konzerte mit den neuen Songs bereichern.
Ich habe die Platte auch als eher ruhiger wahrgenommen. Ihr habt in einigen Songs sogar Vogelgezwitscher integriert. Ist das eure Flucht in die Natur?
Das ist ein besonderer Vogel, der heißt Loon. Dieser Loon war in den 1980ern in einem EMO-Synthesizer integriert und ist immer wieder genutzt worden. Auch bei den ersten House- und Techno-Produktionen von 808 State und Derrick May. Mich hat der Vogel fasziniert, ich wollte einfach mehr wissen. Und dabei blieb es nicht. Es ist eine Referenz an unsere Herkunft. Wir haben den Sound dann nicht nur wie in der Musikgeschichte benutzt, sondern noch mehr Naturaufnahmen dafür verwendet und verfremdet.
Manchmal mutet es bei euch ein bisschen noisy an, dann wieder ruhig. Welche Rolle spielt Noise in eurer Musik?
Es gibt so Lieblingseffekte. Wenn man sich auf die Basics konzentriert, dann sind es die Delays. Danach kommt gleich Distortion. Aber Distortion ist ja nicht gleich Distortion. Das kann klingen wie bei Rick Rubin. Ich arrangiere, Szary ist für diesen Sound zuständig. Er bringt diesen Noise im Studio mit rein. Der Song klingt dann ganz anders, gut und teuer. Und der passt irgendwie zu uns … ist natürlich auch ein Kompromiss.
Teilweise kommt eure Musik theatralisch, fast pathetisch daher. Wie ein kleines Theaterstück mit ruhigen Szenen und einer Steigerung. Legt ihr das bewusst so an?
Wir sind durchaus Cineasten, haben Bilder im Kopf. Deswegen entsteht immer so eine Visual-Show im Kopf. Diese Verbindung von Bild und Ton spielt eine große Rolle bei uns. Bei Techno und House ist vieles schon so abgegessen. Wir wollten es anders machen, einen Mittelweg mit unseren Vibes finden. Nach meiner Erinnerung haben wir 2019 angefangen, über die Platte zu sprechen und sie im vergangenen Jahr produziert. Schon der erste Song war der Durchbruch. Der klang ohne Umwege nach Moderat, hatte Deepness, ohne tragisch zu klingen. Wir mussten uns nicht unbedingt neu erfinden. Die Leute wollen ja von uns genau diese Vibes. Dazu gehört eine gewisse Ruhe, in der man Luft holt, damit das Kopfkino neu starten kann.
Eure Bühnenshows sind immer faszinierend. Wenn ich nur an euer Abschlusskonzert in der Berliner Wuhlheide 2016 denke … mind blowing. Habt ihr dieses Jahr wieder so eine große Show geplant?
Na klar. Keine Kompromisse. Alle freuen sich, dass es wieder los geht. Wir haben voll Bock auf die heiße Phase. Es war genug Zeit für eine Bestandsaufnahme und um einfach mal Luft zu holen. Wir haben fast alles neu gemacht, bis auf die Gassenhauer wie BAD KINGDOM. Insofern denke ich, dass das neue Konzert bestimmt ziemlich krass wird. Die Aufteilung auf der Bühne haben wir so belassen und die bestehenden Videos von den einzelnen Songs ins Jahr 2022 geholt. Wir haben krasse Lasergeschichten in der Show. Subtile Lichter. Ziemlich abgefahren und aufwendig, was wir da so machen.
Sind wieder die Jungs von Lotus Lumina/ Kalif Storch aus Erfurt am Start?
Wie gehabt. Wir arbeiten mit den Jungs aus dem Kalif Storch und der Pfadfinderei zusammen.
Eine Frage noch zur Gestaltung eures AlbumCovers. Die vergangenen drei hatten eine Handschrift. Musikerkollege Siriusmo war verantwortlich. Wieso seid ihr davon weg?
Wir hatten erst ein anderes Motiv, passend zur vorherigen Moderat-Triologie. Aber das war ja praktisch eine komplett andere Zeit. Eine Fortführung schien uns irgendwie unpassend. Mit der ganzen Entwicklung – mit Trump, Corona und jetzt dem Krieg vor der Tür. Es ist auch die erste Platte, die einen Titel hat. Den hatten wir früh. Wir leben in einer völlig absurden Zeit, nur der Datenfluss bleibt konstant. Es geht nur noch um Datensammlung. Krieg wird über Twitter geführt. Was wir früher Hartz-iV-TV genannt haben, spielt sich heute im Web 2.0. ab. Das Cover soll ein schwarzes Loch darstellen, dass sich selbst auffrisst. Daraus kommt der Regenbogen, die Basis für alle Farben, die man so auf seinem Monitor sieht. Wir haben uns so positioniert. Sich in seiner Kunstblase zu verstecken, das funktioniert leider nicht mehr so ganz.
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