Sowohl in der freien Kulturszene als auch auf dem freien Buchmarkt ist das Motto des Debütromans des Erfurter Autoren und Literaturwissenschaftlers René Porschen aktuell wie kein anderes. „Kokon“ gehört zu den Werken, deren Erscheinen von der Pandemie zwar überschattet wurden, das sich aber selbstbewusst eine zweite Chance erkämpft hat, vor interessiertem Publikum einmal vorgetragen zu werden. Wir haben den Autor und Wahlerfurter ein paar Fragen zu seinem Erstlingswerk gestellt.
Was hat dich nach Erfurt verschlagen?
Sagen wir, es war eine wilde Odyssee aus sozialer Migration, einhergehend mit sozialem Aufstieg. Momentan studiere ich in Erfurt und schreibe meine Doktorarbeit.
Deinen Debütroman „Kokon“ hast du in der Corona-Zeit veröffentlicht. Es gab also relativ wenige Chancen, dein Werk richtig publik zu machen. Wie war das für dich?
Eine glückliche Situation ist das in der Tat nicht, obschon etwas ironisch, da ich das Gefühl habe, dass sich einige Elemente der Erzählung auf der Ebene der Publikation zu wiederholen scheinen. Immerhin ist das Besondere des Protagonisten, wenn man jetzt ein „er“ daraus machen möchte, dass dieser als Schmetterlingskokon selbst nur beschränkt in der Lage ist, sich der Außenwelt mitzuteilen; naturgemäß ein Isolationist, der nichts sieht, nichts hört, nichts schmeckt… aber aus all dem ein Fühlen oder einen Sinn machen muss. Das ist sicherlich eine Situation, mit der, zumindest temporär, sich viele ein Stückweit identifizieren können.
Darüber hinaus versuche ich, das Positive an der unglücklichen Situation zu sehen. Ich kann Lesungen länger planen. Wenn dann aber niemand kommt, weil alle Angst vor einer Ansteckung haben, oder die Stätten selbst mir keine Zusage geben können, weil sie mehr oder noch mehr um die eigene Existenz bangen, ist der Positivismus vielleicht eher pathologisch.
Um was geht es in deinen Roman eigentlich?
Das ist die „große Frage“. Einfach gesagt: Es geht um einen Kokon, der irgendwie aus keinem besonderen Grund lebendig geworden ist und sich nun mit der Sinnlosigkeit einer unwahrscheinlichen Existenz abfinden muss. Aber es kommen noch viele Abzweigungen, Gedankenexperimente, Fragestellungen und innere Mono- bis Dialoge hinzu, die die Erzählung vielleicht eher ausmachen als das phantastische Element in der Insektenwelt. Am Ende ist das vielleicht eine Frage, die sich eher zwischen Leser*innen und Text stellt als zwischen Text und Autor.
Wer ist die Hauptfigur und was passiert ihr?
Die Hauptfigur ist ein Kokon und das, was in ihm figürlich werden kann: Zufall, Verfall, Abfall sowie die zahlreichen Verästelungen, die sich dazwischen auftun.
Wofür steht der Kokon?
Die Frage möchte ich ungern beantworten. Das fixiert den Diskurs irgendwie und tötet ihn. Sicher hat der Text autobiografische Elemente, aber welcher Text hat das nicht? Die Frage ist besser an die Leser*innen gestellt.
Ende August hast du in Erfurt im Theater Blaue Bühne erstmals aus deinem Roman vor Publikum gelesen. Wie war das für dich?
Auf der Bühne zu stehen, ist für mich eigentlich kein Problem, da ich seit mehreren Jahren im Amateurschauspiel tätig bin – unter anderem auch für das Theater Blaue Bühne. Vor über zehn Jahren habe ich an der Uni Erfurt eine Schauspielgruppe mitgegründet. Solange bin ich quasi schon auf der Bühne.
Jedoch ist das Lesen eines Textes, den man selbst geschrieben hat, eine Situation, die ein bisschen prekärer und sensibler ist. Man steht mit eigener Präsenz für etwas ein, das man selbst „verbrochen“ hat. Lässt man dann auf der Bühne Fehler zu oder fällt aus der Rolle, so ist man angreifbarer als bei einem Theaterstück, bei dem man die Rolle – eine, die als Privatperson schwieriger zu errichten ist – als Anker oder Schild nehmen kann.
Dein Roman macht auf dem Cover einen düsteren Eindruck. Lässt sich da schon auf den Inhalt schließen?
Gewissermaßen. Wobei es für mich immer etwas schwierig ist, den Inhalt prägnant zu beschreiben. Denn dieser erscheint mir bei den zahlreichen Abweichungen, Experimenten und Gedankenspielen oft eher zweitrangig. Die Titelzeichnung von Franca Bartholomäi scheint mir eine Art „goblinhaftes“ Gesicht zu zeigen, das da unter einer irgendwie bohnenförmigen – und hier bitte keine Puffbohnen-Assoziationen, ich mag diesen Lokalpatriotismus nicht – Wildwuchsfrisur hervorlugt.
Die Form des Ganzen mag sicher an einen Kokon erinnern der, für uns, erst einmal eher unbelebt ist, nichts machen kann außer rumzuliegen und durch seine eigenen Gedankenlabyrinthe zu „wuchern“. Beide Formen, menschliches Gesicht und Dickicht, brechen sich zudem gegenseitig auf, schreiben das jeweils andere in sich hinein, was sich ja auch in der ganz typischen Form des Kokons, hat er das ausgewachsene Insekt einmal entlassen, wieder abbildet. Denn dieser ist auch „offen“ in gewissem Sinne. Auch auf die zahlreichen Anthropomorphismen, mit denen der Text arbeitet, könnte die Zeichnung Rückschluss geben.
Dein Roman „Kokon“ ist ein surrealistisches Werk. Was heißt das?
Naja, „surrealistisch“ hat ja nun eher mein Verleger gesagt. Ich selbst habe nicht wirklich versucht, das Werk in einem bestimmten Genre oder einer ästhetischen Tradition zu verorten, um dann sagen zu können: „Hey, ich bin ein Nachfolger von Dali.“
Es mag stimmen, dass der Text stark gegen erzählerische Konventionen angeht, um den Zugang zu einer Realität zu eröffnen, die uns normalerweise verborgen bleibt – das nimmt das Motto als kleines Versstück schon vorweg – aber würde ich mich jetzt hinstellen und dem Text die „Krone des Surrealismus“ aufsetzen, vielleicht damit man ihn besser einordnen kann, dann wäre dem Ganzen eher ein Bärendienst erwiesen. Schließlich geht es um Dinge, die sich jenseits des bewusst Wahrgenommenen und Erzählten abspielen (können) und um das Phantastische, das im Alltäglichen liegt – und umgekehrt.
Wie lange hast du an „Kokon“ gearbeitet?
Länger als zehn Jahre, aber es war kein aktiver Schreibprozess. Der Text hat sozusagen mich geschrieben und fertig ist er sowieso nie, weil immer Dinge offen bleiben. Irgendwann konnte ich nicht mehr weiter schreiben und musste den Text in seiner Offenheit akzeptieren.
Schreibst du schon wieder an einem neuen Roman?
Für die nächsten Jahre sitze ich an meiner Doktorarbeit, die hat erstmal Vorrang. Aber natürlich habe ich noch Ideen, an denen ich weiterarbeiten werde und veröffentlichen möchte.
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- Preis: 11,90 Euro | ISBN: 978-3-95915-131-3 | Hier könnt ihr es euch online bestellen.
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