Kunst, Kultur und Handwerk sind nicht immun gegen Corona. In Thüringen trifft die Krise unzählige Freischaffende, Selbständige und Einzelkämpfer, die mit viel Herzblut und Schweiß ihr Business aufgebaut haben oder ihren Weg gegangen sind. Der Shutdown nimmt ihnen nun die Lebensgrundlage. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben, sie sichtbar machen und zeigen, dass Kultur kein Luxus ist.
Kultur Shutdown #2 mit Katharina und Daniela von „art der Stadt e. V.“
In unserer Interview-Reihe „Kultur Shutdown“ sprechen wir ein Jahr später erneut mit Katharina Vötter und Daniela Rockstuhl vom „art der stadt e. V.“ in Gotha. Der Verein ist ein Schmelztiegel des künstlerischen Ausdrucks seiner Heimatstadt. Er besteht seit 1995 und ist Heimstatt kreativer Ideen und Geister und somit ein Abbild für die künstlerische Art und Weise der Stadt Gotha und seiner Region.
Wie sieht aktuell die Lage bei euch aus?
Der Verein ist seit November 2020 geschlossen. Die meisten Angestellten sind im Homeoffice. Das Büro ist zeitweise besetzt. Es kommen mit Ankündigung einzelne in die Einrichtung, denn einige Arbeiten müssen im Haus erledigt werden wie Baumaßnahmen, Verwaltung, Reinigungsarbeiten etc. (auch unsere Bundesfreiwilligen kommen, da sie die Regelmäßigkeit der Arbeit sozial sehr stark brauchen.) Alle größeren Arbeitstreffen und Beratungen finden online statt. Für zwei der Angestellten die einzige Möglichkeit, da sie zuhause Kinder betreuen müssen. Kleinere Besprechungen zu zweit oder zu dritt finden auch analog unter Achtung der Hygienebestimmungen statt. Trotz Schließung stehen wir nicht still. Künstlerische und soziale Projekte werden vorbereitet, geplant (längerfristig für den Sommer) oder in digitale Formate umgewandelt.
Es werden Förderanträge für Projekte und die Geschäftsstelle beantragt v.a. größere Förderungen für die nächsten 3 Jahre, denn die Subkultur wird es vor allem die nächsten 2-3 Jahre finanziell schwer haben, sich mit den geringen Einnahmen über Wasser zu halten. Da Rücklagen nicht aufgebaut, sondern eher abgebaut werden, kann es in den nächsten Jahren erst brenzlig werden. Fünf Werkstätten laufen online (2 Theaterwerkstätten, 1 Kunstwerkstatt sporadisch und 2 Wildniswerkstätten) über Videochats über E-Mail und Kommunikationsapps mit Aufgaben und Austausch weiter, um den Kontakt zu halten. Seit 8.Februar 2021 läuft ein Online-Spiel unter #stadtlandfluss – ein Spiel aus dem Bereich künstlerische Forschung für Kinder und Familien. Es gibt jeden Tag außer am Wochenende eine Aufgabe, um seine Umwelt zu erforschen. Die Ergebnisse können künstlerisch festgehalten und dem Verein zugesendet werden. Profischauspieler*innen und Profitänzer*innen proben unter Hygieneschutz (solo oder zu zweit) weiter. Drei Stücke sollen auf Halde liegen, damit wir ein kleines Programm haben, sobald wir öffnen dürfen.
Wie steht es um die Finanzen, gab es Hilfe von außen?
Finanziell sieht es in 2021 noch ganz gut aus, da uns die meisten Förderer nicht hängen lassen und den Gesamtbetrag auszahlen, obwohl uns die Eigenmittel fehlen werden. Hier ein großes Dankeschön an die Thüringer Staatskanzlei, die Stadt Gotha und die drosos-Stiftung. Wir machen uns vor allem um die nächsten zwei bis drei Jahre Sorgen und um unsere Solokünstler*innen, da nicht klar ist, wann wieder halbwegs Arbeitsnormalität herrscht und wie die Kulturschaffenden finanziell überleben können. Die geringen Einnahmen werden irgendwann nicht mehr von Förderungen aufgefangen werden können. Die Rücklagen werden irgendwann aufgebraucht sein. Wir hoffen sehr auf ein strategisches Konzept der Regierung und werden natürlich selbst neue Wege gehen müssen, um Eigenmittel zu erwirtschaften. Momentan stellen wir viele verschiedene Förderanträge, um auch 2022 und 2023 unsere Arbeit durchführen zu können. Wir hoffen aber auch auf Spenden, Patenschaften und irgendwann wieder eine rege Teilnehmerschaft in unseren Projekten.
Was hat sich im vergangenen Jahr alles verändert? (Umstrukturierungen, etc.)
Durch die zwei Pausen konnten wir vor allem baulich in unserer Spielstätte einiges fertig stellen.
- Einrichten der Hygieneschutzvorrichtungen (Handtuchhalter, Seifenspender, Desinfektionsspray, Masken, Hinweisschilder, Aufstockung der Technik etc.)
- Treppenhaus ist fertig gemalert. (Foyer, Eingangsbereich)
- Außenwerbung am Haus ist fertig.
- Beschilderung innen (Leitsystem) ist fertig.
- Bühne DR3I mit Zuschauertribüne ist fertig gestellt.
- An den Nasszellen, im Küchenbereich und an der Bar wurde weitergearbeitet.
- Eine neue Internetseite ist im Aufbau.
- Alle Arbeitstreffen finden online statt. Das technische Knowhow wurde aufgerüstet, um digitale Formate zu entwickeln.
Strukturell hat sich in den Abläufen und Aufgabenschwerpunkten einiges gefestigt bzw. geändert. Nicht nur die Pandemie, sondern auch der Verlust von drei Mitarbeiter*innen führte zu einem Umdenken bzw. zu einer gewissen Rückbesinnung auf die wesentlichen Aufgaben unseres Vereines: kulturelle Bildung, Theater, Kleinveranstaltungen, Gemeinschaft. Die Pandemie sorgte vor allem für einen neuen Blick auf unsere Vermittlungsformate und für eine wachsende Mischung klassischer und medialer Elemente. Wir haben begonnen uns digital besser aufzustellen. Hier haben wir aber noch einiges vor uns. Viele Mitarbeiter*innen bilden sich in diesen Bereichen weiter und entdecken neue künstlerische Möglichkeiten. Der Blick auf die Gesellschaft, auf die Zeit und das Miteinander wird differenzierter und für unsere zukünftigen Projekte noch bedeutsamer.
Was habt ihr im vergangenen Jahr gemacht?
Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 haben wir ein Onlinespiel unter dem Titel #heimARTikel ins Leben gerufen. Jede Woche gab es eine neue Aufgabe, an der man sich künstlerisch abarbeiten konnte. Einige Werkstätten haben wir digital angeboten. Mit Öffnung der kulturellen Bildung im April 2020 haben auch wir unsere Werkstätten wieder in kleineren festen Gruppen durchgeführt. Alle waren sehr froh sich wieder sehen zu können, denn die digitalen Formate waren zur damaligen Zeit nicht so zufriedenstellend. Die Lücke zwischen September und November haben wir sehr intensiv genutzt für Veranstaltungen und drei Premieren durchgeführt, das Tanzstück „mutter*körper“, das Kindertheaterstück „kleine Raupe“ und das Jugendtheaterstück „status? quo!“.
Mit dem zweiten Lockdown mussten alle Veranstaltungen und Werkstätten erneut abgesagt werden. Einige Werkstätten versuchen es wieder über Onlineformate, andere ruhen nun wieder seit November, gerade unsere Werkstätten für die Allerjüngsten (3-5) und für unsere Senioren (65+) können leider nicht stattfinden. Aber über Briefe, kleine Nachrichten oder Telefonate versuchen wir in Kontakt zu bleiben. Während der gesamten Zeit haben wir viel geplant oder versucht umzuplanen wie den Kulturkonsum, unsere alljährliche Sommerwerksatt, die Kunstnacht. Doch in den meisten Fällen musste leider alles wieder abgesagt werden. Ansonsten haben wir, wie bereits beschrieben, umgebaut, Förderanträge gestellt, uns personell neu sortiert, Ideen für Projekte gesponnen, in kleinen Gruppen geprobt oder liegen gebliebene Aufgaben erledigt.
Ziehst du etwas Positives aus der Zeit?
Langsam fällt es immer schwerer, da die Motivation etwas zu planen, was dann doch nicht stattfinden kann, schwindet. Die Form der Kreativität geht in Einzelaktivitäten über, Menschen kommen nicht mehr zusammen und das ist gerade für das Theater sehr schwierig. Die große Aufgabe vor Covid war, Menschen zu bewegen, ihre Sofas und technischen Geräte zu verlassen und sich zu bewegen, und damit auch die Kultur ihrer Stadt zu bewegen, zusammenzukommen. Jetzt heißt es Formate zu finden, die funktionieren, um die Menschen vor dem Bildschirm zusammenzubringen. In bestimmten Bereich erleben wir die Vorteile der Digitalisierung, aber insgesamt ist für uns eine digitale Theaterwelt nicht unsere Vision von Lebendigkeit. Auch die Offenheit gegenüber Neuem, gegenüber dem Fremden zu erarbeiten, zu erhalten oder zu erweitern, ist Teil unserer Arbeit – auch zufällige Bekanntschaften auf Veranstaltungen – eben Menschen zusammenzubringen und für einen Austausch zu sorgen – all das fällt weg, wenn man sich nicht treffen darf.
Im digitalen Raum gibt es diese Treffen zwar auch, aber es fehlt oft an einem direkten und sich aufbauenden Austausch. Doch wir versuchen über die digitalen Möglichkeiten neue Wege des Austausches und des künstlerischen Ausdruckes zu entwickeln, Theater mit neuen Augen zu erforschen, zu erleben und zu ergründen. Das ist auch das Positive an der momentanen Situation, Theater ins Heute zu holen. Wir besinnen uns auf unsere eigentliche Aufgabe als Kulturverein und auf die Bedeutung von Kultur für den Menschen. An dieser Aufgabe möchten wir festhalten und trotzdem mit der Zeit schritthalten. Digitale Formate werden zukünftig verstärkt in unserem kulturellen Alltag präsent sein und hoffentlich auch die Jugendlichen wieder stärker an kulturellen Angeboten wie Theater oder bildender Kunst teilhaben lassen. Klassische Elemente verbinden sich verstärkt mit medialen Wirklichkeiten der heutigen Zeit und lassen neue künstlerische Entwicklungen zu – allein, zu zweit oder in der Gruppe. Wir sind gespannt, was alles entstehen wird.
Wie blickt ihr in die Zukunft?
Unser Blick in die Zukunft ist ein wenig misstrauisch, vermutlich ist die Kulturbranche mit eine der letzten, die eröffnet wird und auch nur unter strengen Hygienemaßnahmen, die wir vielleicht aufgrund unserer Größe nur bedingt umsetzen können. Wir nehmen die Situation sehr ernst und wollen unsere Mitmenschen schützen, aber auf lange Sicht gesehen, ist dieser eingeschränkte Betrieb für Kulturvereine schwierig, denn wir sind auf den Austausch mit unseren Gästen angewiesen. Andererseits sind wir aber auch motiviert und schon gut vorbereitet auf eine Wiedereröffnung unserer Räume. Vielleicht wird die große Sehnsucht nach Menschen und Kultur sich positiv auf unsere zukünftige Arbeit auswirken, das wäre wünschenswert. Aber vielleicht müssen wir in vielen Bereichen auch wieder von vorne anfangen, weil Strukturen oder das Vertrauen in Strukturen weggebrochen sind.
Ein Aufeinander zugehen wird nach dieser langen Zeit nicht einfach sein. Eine gewisse Vorsicht wird bleiben, um sich und die anderen zu schützen. Begegnungen vor allem im theaterpädagogischen Bereich müssen neu gedacht werden. Das wird unsere Aufgabe in den nächsten Wochen sein. Des Weiteren werden die Maßnahmen der Pandemie nachhaltige Folgen für die soziale Situation, auch die Bildungssituation und die Wirtschaft haben – wir hoffen sehr, dass die Einzelhändler*innen, die kulturellen und touristischen Einrichtungen, die Hotels und Pensionen, die Gaststätten und Friseure, die Soloselbständigen und all diejenigen, die nicht ihrer Arbeit nachgehen konnten, überleben können und wir hoffen, die Kinder und Jugendlichen gehen trotz der schwierigen Situation und der Einschränkungen gestärkt in die Zukunft mit neuen Ideen für ein lebendiges Miteinander.
Lest hier das Interview mit den Beiden vor einem Jahr
Hard Facts:
- Wo? art der stadt e. V. | Ekhofplatz 3 | Gotha
- Mehr Informationen findest du auf der Website
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