Pablo Mattarocci sah mit neun Jahren „Braveheart“ mit Mel Gibson im Fernsehen und ihm war sofort klar, dass er beim Film arbeiten wollte. Also legte er einfach los, drehte ein Jahr später mit Lego Studios erste kleine Stop-Motion-Filme. Mit 13 Jahren bekam er einen Camcorder zum Geburtstag geschenkt und realisierte erste Kurzfilmprojekte mit seinen Mitschülern. Wieder drei Jahre später beteiligte sich der gebürtige Mannheimer in Berlin zum ersten Mal an einem Kino Kabaret, einem Treffen von professionellen und Nachwuchs-Filmschaffenden, die innerhalb von 48 oder 72 Stunden eigene Konzepte entwickeln, einen Kurzfilm drehen und aufführen müssen.
Pablo Mattarocci – Filmemacher aus Jena
So war Mattaroccis Regie-Debüt „Can“ um eine Coladose, die mehrmals den Besitzer wechselt, zwar unter Zeitdruck entstanden, hatte jedoch inhaltlich genauso wie seine weiteren Kurzfilme – das Landstreicherdrama „Heimat“ und die Stummfilm-Vampirromanze „Über die Notwendigkeit des Beißens“ (beide 2015) – jene Gesellschaftskritik und jenen Stilwillen zu bieten, die heute neben lässiger Wollmütze auf dem Kopf – auch bei sommerlichen Temperaturen – so etwas wie sein Markenzeichen geworden sind.
Nichtstadt – Portrait eines Fortschritts
Die beiden letztgenannten Produktionen sind bereits in Jena entstanden; einer Stadt, in die es Pablo 2013 zum Studium der Kunstgeschichte (Schwerpunkt: Filmwissenschaft) und Soziologie verschlug. Dabei kam er über das Kurzfilmfestivalformat „Kino Dynamique Jena“ auch in Kontakt mit der sehr aktiven, alternativen Kulturszene der Saalestadt – die immer wieder von ihren Problemen berichtete. „Ursprünglich war die Idee, einzelne Initiativen in Portraits vorzustellen, jeweils als Fünfminüter. Das stellte sich aber schnell als zu kurz heraus und so wuchs sich das auf zwei bis drei Monate angelegte Projekt eher ungewollt zu meinem ersten abendfüllenden Film aus“, blickt Pablo zurück. „Nichtstadt – Portrait eines Fortschritts“ befindet sich inzwischen auf Kino-Tour durch ganz Deutschland und zeigt dabei auf, wie ehrenamtliche Vereine und Initiativen mit demokratischen Mitteln für den Erhalt ihrer Stätten in einer prosperierenden Stadt kämpfen – ein Geburtshaus, das Café Wagner und die Südkurve im ErnstAbbe-Sportfeld ebenso wie ein Wohnprojekt auf dem Inselsplatz oder ein Wagenplatz nahe einer Kleingartensiedlung.
Doch durch das mangelnde Gehör der vor allem von wirtschaftlichen Interessen getriebenen Stadtoberen, die ihnen diesen Raum nicht gewährten, verschwand die Soziokultur zunehmend aus dem Stadtbild – weswegen der Film eindrucksvoll aufzeigt, wie Politikverdrossenheit dadurch Vorschub geleistet wird. „Im Frühjahr 2018 ging es mit den Dreharbeiten los. Es war leider nicht möglich, mit Oberbürgermeister Thomas Nietzsche oder dem städtischen Eigenbetrieb jenawohnen ins Gespräch zu kommen. Heute hätte ich penetranter versucht, die Leute zu konfrontieren und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Damals war ich noch nicht so weit“, gibt Pablo unumwunden zu. Die drei Jahre, über welche die Dreharbeiten verstreut stattfanden, bevor sich ein Jahr Roh- und ein halbes Jahr Feinschnitt anschlossen, waren für Pablo auch privat eine bewegte Zeit. Neben der Umsetzung zwei weiterer Kurzfilmprojekte – „Mannkin“ und „Landschaft nach geschlagener Schlacht“, die unter anderem auf Festivals in den USA und in Italien Preise gewannen – schloss er 2018 sein Studium erfolgreich ab und hielt sich mit Gelegenheitsjobs oder anderen Filmprojekten finanziell über Wasser, an denen er als Regieassistent und in der Set-Aufnahmeleitung mitwirkte. 2020 wurde er fürs TB2-Programm ausgewählt, einer Workshop-Reihe für Nachwuchsfilmemacher in Mitteldeutschland.
Ich werde Jena verlassen
Längerfristig möchte der heute 28-Jährige von eigenen Filmprojekten leben können: „Ich werde Jena verlassen, denn es ist dafür nicht die perspektivreichste Stadt.“ Er überlegt, eine spanische Filmhochschule in Mexiko oder auf Kuba zu besuchen, wo mutigere oder symbolistischere Ansätze gelehrt werden. „Deshalb kollidiert ‘Braveheart’ auch mit meinem heutigen intellektuellen Verständnis, aber ich kann immer noch jede Dialogzeile mitsprechen und emotional holt er mich immer noch voll ab“, schmunzelt Pablo. Der kleine, filmbegeisterte Junge hat nichts von seiner Faszination für das Medium verloren – ist aber inzwischen erwachsen geworden.
Hart Facts:
- Nichtstadt – Portrait eines Fortschritts | 10. Juni | Jena | Kassablanca
- Mehr auf der Homepage