Punkrock, wie ihr es noch nie gehört habt, das könnt ihr am 22. März im Rosenkeller in Jena erleben. Ganz ohne Gitarre, nur mit einem Piano bewaffnet zeigt Uli Sailor, dass Pogo-Stimmung auch ohne ein elektrisches Saiteninstrument wirkt. Bereits seit über 25 Jahren ist der „junge Altpunk“ in diversen Bands unterwegs gewesen, zuletzt seit 2013 war er Mitglied der Terrorgruppe, die mit ihrem Sound deutsche Punkmusikgeschichte geschrieben hat. Jetzt schreibt er allein weiter … Wir sprachen mit Uli über Altpunks, die Vorteile des Solotourens und natürlich sein Punkrock-Piano.
30 Jahre Terrorgruppe – Wie ist es, Teil dieser Geschichte zu sein?
Ich bin 2013 zur Band gestoßen, als sie sich wiedervereinigten nach der Auflösung in 2005. Und das als Fan. Ich musste mich über die Jahre regelmäßig selber zwicken, um zu realisieren, dass ich Teil dieser Band sein darf. Es fühlte sich ein bisschen so an, wie auf die andere Seite der Macht zu wechseln. Ich war auf einmal Teil einer Band, die so prägend für die deutsche Punkrock-Szene gewesen ist, das war für mich ein riesiges Privileg.
Was ist das Gute daran, jetzt alleine unterwegs zu sein?
Das Beste daran, alleine unterwegs zu sein, ist, dass ich mich mit niemandem absprechen muss. In einer Band muss man sich mit vielen Leuten arrangieren, und die Realität ist, dass die wenigsten Bands vor allem im Punkrock-Bereich davon leben können. Das bedeutet, dass man, wenn man Konzerte plant, vorher alles mit den anderen Bandmitgliedern, den Arbeitgebern, den Familien usw. abklären muss. Wenn ich alleine auf Tour gehe, muss ich mich nur mit meiner Familie absprechen (lacht). Außerdem kann ich zum Beispiel einfach mit dem Zug anstatt mit dem Auto fahren, was ich eindeutig bevorzuge. Aber natürlich gibts auch Dinge, die ich vermisse. Solokünstler zu sein, ist eben das Gegenteil von damals, als man mit den Jungs in seiner Band losgezogen ist, um die Welt zu erobern. Dazu kommt, dass ich viele Entscheidungen alleine treffen muss, da würde ich mir manchmal mehr Austausch wünschen. Aber im Großen und Ganzen passt dieses Projekt ganz hervorragend zu meiner aktuellen Lebenslage, und ich genieße die Freiheit und Flexibilität sehr.
Du machst Punk mit dem Piano. Geht das überhaupt? Bei Punk denke ich sofort an Gitarren.
Das stimmt, das war eine Herausforderung. Gitarrenmusik ist nach wie vor mein größter musikalischer Einfluss. Da ich aber ein zu schlechter Gitarrist bin, war es naheliegend, mich am Klavier zu versuchen, das ich als Kind gelernt habe. Da ich noch unschlüssig war, wie meine eigenen Songs klingen sollten, habe ich mich erst mal mit den Songs beschäftigt, die mich in meiner Jugend sehr geprägt haben. Das waren die Songs von NOFX, Bad Religion, Lagwagon oder Propagandhi, aber auch mit deutschen Texten wie zum Beispiel Terrorgruppe, Schrottgrenze oder WIZO. Ich hab auch im Internet recherchiert, was es so an Punksongs am Klavier gibt und habe immer nur Balladen gefunden. Pianoballaden sind einfach immer nach 30 Sekunden langweilig. Da war mir klar, dass ich die Energie, das Originaltempo der Songs bewahren muss. Und natürlich kann man auch Punk am Klavier spielen, wenn man es mit der entsprechenden Attitüde macht. Ich spiele das Klavier wie eine verzerrte Rhythmus-Gitarre und dann geht auch Punk am Piano.
Was bedeutet Punk für dich?
Punk ist für mich weniger eine Musikrichtung, sondern vielmehr eine innere Haltung. Punk bedeutet für mich, sein Leben und sein Schicksal selber in die Hand zu nehmen, DIY – Do It Yourself. Ich organisiere (noch) meine Konzerte selber, bin Teil einer Community, die sich gegenseitig hilft und respektiert. Das haben wir früher so gemacht und ich mach es zum größten Teil auch heute noch so: „Ihr spielt bei uns, und wir spielen bei euch.“ Dabei ist es vor allem wichtig, die Dinge um ihrer selbst willen zu tun, anstatt Erfolg und Verdienstmöglichkeiten an erste Stelle zu setzen. Für mich bedeutet Punk also Selbstbestimmung, aber auch Solidarität. Mein Ziel ist es ein gutes Leben zu führen, was nicht vom ständigen Streben nach Wachstum und materiellen Dingen geprägt ist.
Einer deiner neuen Songs heißt Seniorpunk. So alt erscheinst du mir noch gar nicht.
Diesen Song habe ich geschrieben, als ich noch bei Terrorgruppe gespielt habe. Damals haben wir auf einer Tour für einen Tag den InstagramAccount von „Kein Bock auf Nazis“ übernommen. Wir dachten: „Krass, was sollen wir denn da den ganzen Tag posten?“ Eine Idee war, dass jedes Bandmitglied einen Song schreibt. Bei mir ist dann Seniorpunk rausgekommen. Da die Originalbesetzung der Terrorgruppe schon ein bisschen älter ist als ich und auch die Terrorgruppe Fans schon etwas älter sind, hat mich das dazu inspiriert.
Hast du schon einmal einen wirklichen Seniorpunk getroffen? Was macht das Alter mit Punk?
Letzten November habe ich mit der englischen Band Ruts DC in Hamburg zusammengespielt. Die Musiker waren alle Anfang bis Mitte 70, und das Publikum war im Schnitt Ü60. Die haben mich schon mit großen Augen angeschaut, als ich denen was von Seniorpunk erzählt hab. Nach dem Konzert kam jemand auf mich zu und meinte: „Ah, da ist er, du bist der junge Alt-Punk“ (lacht). Ich glaube aber, dass dieser Song und auch das ganze Seniorpunk-Konzept ‘ne ziemlich gute Zukunft hat und ich denke, mit 60, 70 Jahren werden wir uns alle bei meinen Konzerten zu diesem Song in den Armen liegen.
Ist es überhaupt möglich, als Erwachsener Punk zu sein, so wie man es als Teenager war?
In „Live Fast Die Punk“ singst du von der Unmöglichkeit dessen. Was heißt denn überhaupt, Punk zu sein? Viele denken bei Punk ja an die Leute mit Schlappiro und Hunden vor dem Supermarkt, die Kleingeld für Dosenbier schnorren. Aber für mich geht Punk viel weiter, wie ich schon oben erwähnt habe und das geht selbstverständlich auch im höheren Alter.
Das Alter ist ohnehin ein Thema bei dir: Deine neue EP heißt „Für immer jung“ …
Diese EP ist entstanden, weil ich bei meinen Konzerten als letzten Song immer „Für immer Punk“ von den Goldenen Zitronen spiele. In „Live Fast Die Punk“ singe ich ja außerdem im Schlussrefrain: „Für immer jung, für immer Punk.“ So kam der Titel der EP zustande. Grundsätzlich stört mich das Älterwerden aber nicht. Eigentlich wirds immer besser, je älter man wird.
Wenn ich an Punk und Piano denke, denke ich unter anderem an Danger Dan, der sich an der AfD abarbeitet. Wie ist das für dich als Punk, wenn du in diesen Tagen nach Thüringen und Sachsen schaust?
Für mich ist das alles sehr beunruhigend, denn es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass die Menschen, die die AfD wählen, dies gerade wegen ihrer rechtsextremen Ansichten tun. Sie wollen Macht ausüben, Menschen ausgrenzen, Wut und Hass wieder salonfähig machen. Das bereitet mir große Sorgen, denn diese freie und offene Gesellschaft, in der wir leben, ist ein hohes Gut. Es ist superwichtig, dass sich die demokratischen Kräfte im Land solidarisieren und sich gegen den Rechtspopulismus positionieren, damit wir kein böses Erwachen erleben wie 1933. Ich versuche meine Konzerte zu nutzen, um darauf hinzuweisen, denn ich glaube fest daran, dass die Faschisten keine Chance haben, wenn wir uns zusammentun.
https://www.facebook.com/UliSailor/posts/pfbid0ZZ2FSv7KBwVnc1eWKwVDvgv1iKLMx8VuvUpoQAoy1vSncM73kMJeyVj1ZdjVFEq5l?__cft__[0]=AZUSJTvpXBLIcnpX6AyunB2_NTdgDZFVPDfcWBGzUDCk_lVKvRl1JojM5bbHHKYN5HwyBOFZQh2BQs3upf0XxY3WROmllLqsZd7ouCcVzpn7YUQhyoLWwG1dB3liEpVOeKU8LkETWdiuGQkk64z4aXEs2Xk-hMXn6_06R8TGHAjlPBujPnq1I7HFob3DkbdPNC8&__tn__=%2CO%2CP-R
Man muss schon sagen, du spielst virtuos Klavier. Man spürt förmlich, dass du für die Musik brennst. Meinst du, du könntest jemals damit aufhören?
Seit 31 Jahren spiele ich bereits in Bands, und ich dachte immer, dass der Punkt kommen würde, an dem ich sage: „Ja, ok, es ist ein tolles Hobby, aber vielleicht ist es damit auch mal vorbei.“ Mit diesem Klavierprojekt fühlt es sich aber jetzt so an, als hätte ich einen Schatz gehoben, der es mir ermöglicht weiterzumachen. Denn im Grunde brauche ich nur mich und ein Klavier. Damit kann ich auf jeden Fall noch lange weitermachen, und das macht mich sehr glücklich. In der Coronazeit wurde mir bewusst, was es mir bedeutet, Konzerte zu spielen, denn da kann ich Leute im echten Leben treffen und zusammenbringen. Das ist meine Mission und ich habe das Gefühl, ich bin auf einem ganz guten Weg!
Hard Facts:
- Uli Sailor in Jena: 22. März | 20 Uhr | Rosenkeller | Johannisstr. 13
- Tix: rosenkeller.org
- Mehr zu Uli Sailor: punkrockpiano.com
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