Die deutsche Band Alphaville hat mit ihrer Musik Geschichte geschrieben. Wer kennt nicht Welthits wie „Forever Young“ oder „Big in Japan“? Jetzt sind sie zurück und haben ihre alten Hits frisch überarbeitet im Gepäck. Am 7. Mai erscheinen die Deluxe Versionen ihrer Alben „Afternoons In Utopia” von 1986 und „The Breathtaking Blue” von 1989 im modernen Gewand. Es ist das erste Mal, dass diese beiden Werke neu gemastert wurden. Grund genug, um mit Sänger Marian Gold über alte Zeiten und neue Pläne zu sprechen.
Am 7. Mai erscheinen die Alben „Afternoons In Utopia” (1986) und „The Breathtaking Blue” (1989) erneut. Über 30 Jahre nachdem sie erstmals veröffentlicht wurden. Wie fühlt sich das an?
Es ist wie ein Wiedersehen. Wenn man ein Album produziert, hat man jeden Song darauf tausendmal gehört, vom Schreiben der Songs bis zur finalen Produktion. Wenn die Platte dann abgeschlossen ist, hört man sich das als Ganzes eigentlich nicht mehr komplett an, weil man das ja schon unzählige Male gemacht hat – abgesehen von einzelnen Songs natürlich. Und bei einem Projekt wie dem Remastering bekam ich dann erstmal wieder seit Langem einen kompletten Eindruck von den Werken und das war wie ein schönes Wiedersehen. Mit diesem Abstand wird einem erst klar, was für geile Alben wir gemacht haben (lacht).
Erst durch die Zeit entsteht eine kritische Distanz, wodurch man sich klar macht, wie detailreich die Produktion war. Das begreift man erst, wenn etwas Zeit verstrichen ist. Deshalb war es für mich ein großes Abenteuer die Alben so wieder komplett zu hören – aber auch das Herumwühlen in den Archiven, die Demoversionen und Remixe wieder zu entdecken, war unglaublich spannend.
Es werden zwei Sammelboxen veröffentlicht, mit Bonusmaterial und mehr. Können wir uns da auch auf unveröffentlichte Songs freuen?
Fast. Es sind teilweise Demoversionen dabei, die sich sehr stark von den letztendlich veröffentlichten Versionen unterscheiden. Da ist zum Beispiel die Balladenversion von „Dance with me“, die völlig anders als die Albumversion ist und teilweise eine andere Akkordfolge sowie Abläufe hat. Es gibt jede Menge zusätzliches Material, das nicht einfach ein Remix ist. Wir haben uns immer an das Credo gehalten, dass wir bei Singleveröffentlichungen auf Vinyl nie einen Song vom Album für die B-Seite hergenommen haben. Für dieses Format kreierten wir immer einen neuen Song, um den Fans möglichst viel für den Preis einer Single zu geben.
Das machte viel Spaß, weil es immer spontane und schnelle Produktionen waren, die sich dann aufgrund der Schnelligkeit von unseren normalen Alben-Produktionen stark unterschieden. Die Mastering-Produktion hat uns an die Art und Weise erinnert, wie wir ganz zu Beginn unserer Karriere waren. Für manche Prozesse brauchst du einfach länger, weil du mehr hinterfragst. Zum Beginn der Karriere bist du noch naiv und unerfahren, dann machst du alles viel spontaner und schneller. Diese B-Seiten Produktion war für uns sozusagen ein Flashback in die Vergangenheit von Alphaville.
Bernhard Lloyd sagt, dass „in den damals turbulenten Zeiten leider nicht genug Augenmerk auf das Mastering gelegt“ wurde. Was meint er damit?
Wir wurden von unserem Erfolg total überrollt, sind von 0 auf 100 gestartet. Nach der Bandgründung schlossen wir ohne Probleme einen Schallplattenvertrag mit einer internationalen Plattenfirma ab. Drei oder vier Monate später veröffentlichten wir eine Single, die innerhalb von sieben Wochen Platz eins in Deutschland und ganz vielen anderen europäischen Ländern erreichte. Das ging dann mit der nächsten Single so weiter. Dann kam das Album und das zweite Album. Man kann sich das nur schwer vorstellen, was da überhaupt los war. Wir waren mehrere Monate nicht zuhause und wurden kreuz und quer über den Planeten, von einem zum anderen Fernsehstudio rumgereicht. Das war extrem. Unsere Produktionen wurden auch häufig unterbrochen.
Gemessen an den damaligen technischen Möglichkeiten, was das Endmastering anging, waren wir deshalb unter dem Strich qualitativ nicht so gut wie wir hätten sein können. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten, die man hat, um einen Song zum Klingen zu bringen, ist der Unterschied zu damals unfassbar groß. Wenn man sich die Alben damals und heute anhört und einen A- und B-Vergleich macht, dann hört man das Album nochmal komplett neu. In den alten Songs wurden viele kleine, subtile Elemente und Details nicht berücksichtigt. Ein großartiger Fortschritt, den man nur dann mitbekommt, wenn man die Sachen miteinander vergleicht. Wenn man das alte Album kennt, merkt man das gar nicht so, weil es klingt wie es klingt.
Ihr habt die analogen Masterbänder gefunden und mit den heutigen Möglichkeiten zum Klingen gebracht. Was muss ich mir darunter vorstellen? Auf was achtet man bei remastern?
Beim Remastering machst du nichts neu, du versuchst den Klang des vorhandenen Materials zu verbessern. Du gehst nicht nochmal in den 24- oder 48-Spurmodus und machst Remixes, sondern nimmst die Masteraufnahme (deswegen Remastering) und versuchst den Quelltext, den du von dem jeweiligen Album oder Song hast, nachträglich so zu bearbeiten, dass du klanglich noch mehr rausholst. Zum Beispiel indem du bestimmte Frequenzen anhebst, andere runterziehen oder an den Bässen arbeitest. Das ist ein unglaublich subtiles Vorgehen und man kann auch viel falsch machen. Wir hatten einen super Typen, den Supermann des Remastering überhaupt, an unserer Seite, nämlich Stefan Dilke, der zum Glück speziell dafür ein Studio besitzt. Ich bin in dem technischen Prozess nicht so eingebunden gewesen, das ist eher Bernds Sache. Bernd hat dann zusammen mit Stefan das Remastering gemacht. Und wie gesagt, es ist eine phänomenale und unglaubliche Verbesserung.
Welche Themen beschäftigten euch auf den Alben „Afternoons In Utopia” und „The Breathtaking Blue”? Es waren ja damals Zeiten des Umbruches …
„Afternoons In Utopia” war eine Reflektion unseres Lebens in West-Berlin. Wir haben große Teile des Albums in Münster geschrieben, weil wir damals aufgrund eines Künstlerkollektivs mit sehr vielen Menschen von West-Berlin dort hingezogen sind. In Münster hatten wir ein Studio und ein großes Haus, in dem wir alle zusammen wohnten. Die Songs unseres ersten Albums sind alle Reflexionen unseres vorherigen Lebens in West-Berlin und sind auch geprägt von einer Art Heimweh nach Berlin, obwohl wir in Münster eine wirklich großartige Zeit hatten.
„Afternoons In Utopia“ war die Rückkehr zu unseren musikalischen Wurzeln, obwohl die Band-Geschichte noch nicht so lang war. Unser Album „Forever Young“ war im Prinzip ein fiktives Best-of-Album, als wenn’s die Band schon irre lange gegeben hätte. Wir waren involviert in Popmusik und haben Stücke geschrieben, von denen wir behaupten, dass es alles Hits sind (lacht). „Afternoons In Utopia“ war der Schritt zurück in die Fantasiewelt, aus der heraus alles entstanden ist. Im Prinzip sollte man zuerst „Afternoons In Utopia“ und dann „Forever Young“ hören.
Bei unserem dritten Album „The Breathtaking Blue” hatten wir uns komplett freigeschwommen. Wir hatten unser eigenes großes Studio und eine Menge Kohle mit unserer Musik verdient. Wir konnten uns alle technischen Raffinessen und Geräte zulegen und musikalisch alles ausprobieren, auf das wir Lust hatten. Das Studio war im Prinzip das „Raumschiff Alphaville“, wir saßen drin und konnten fliegen wohin wir wollten. In „The Breathtaking Blue” haben wir unsere Träume verwirklicht.
Sind die Themen heute nach wie vor aktuell?
Die Themen sind immer relevant. In „Forever Young“ ging es um West-Berlin in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren, da sind viele Anekdoten entstanden. In „Big in Japan“ geht’s beispielsweise um den Bahnhof Zoo und „Summer in Berlin“ handelt von der verrückten Situation, umgeben von einem Todesstreifen mitten im Zentrum eines anderen Landes zu sein. „Afternoons In Utopia“ ist eine eigene Reise in unsere Köpfe. „The Breathtaking Blue” hat alle Themen aufgegriffen, die zu dieser Zeit relevant waren. So ist „The Mysteries of Love“ nichts anderes als ein Song über den Mauerfall. Die Songs stehen also immer in Bezug dazu, in welcher Zeit diese entstanden sind.
Der Song „Dance with me” wirkt gerade in heuten Zeiten von Tanzverbot und Corona nochmal auf einer anderen Ebene. Wie siehst du das?
Der Satz „Dance with me” ist in erster Linie ein unglaublich trivialer Satz und es kommt immer drauf an, was man damit macht. Das Stück war eine Art Suche nach uns selbst. Man konnte sich damals in dem ganzen Tohuwabohu von Erfolg, Interviews, Fotosessions und Goldenen Schallplatten schnell selbst verlieren. „Dance with me” ist keine Aufforderung zum Tanz, gerade in der Balladenversion wird klar, dass es ein tieftrauriges und tragisches Lied ist. Deswegen ist es auch auf andere Situationen anwendbar und beinhaltet Aussagen in vielerlei Richtungen.
Die 80er-Synthie-Sounds kommen gerade ganz groß wieder. Da passt das mit den überarbeiteten Alben super rein. Arbeitet ihr auch an neuer Musik? Wird es ein 8. Studioalbum geben?
„Die 80er sind gerade ganz groß.“ – Das höre ich jetzt seit 30 Jahren (lacht). Meiner Meinung nach haben die 80er niemals aufgehört. Wir sind sehr langsame Arbeiter, was Produktionen angeht und sind bei einer Albumproduktion nie unter drei oder vier Jahren geblieben. Derzeit arbeiten wir tatsächlich an einer neuen Platte. Wir kommen momentan gut voran und hoffen, dass wir Ende dieses Jahres fertig sind und es vielleicht sogar zu Weihnachten rausbringen können. Dann wären wir zur Abwechslung mal richtig schnell. Es gibt auch noch andere Projekte, die wir dieses Jahr anschieben werden. Es wird also noch so einige Überraschungen geben.
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