„Es ist wie immer der berühmte Spiegel, den wir der Gesellschaft über die Rübe ziehen.“ Die Thüringer Band Traumfresser klingt böse, meint es aber gut. Und manchmal auch umgekehrt. Was die Band mit ihrer neuen Single ausgelöst hat, wie wichtig ihnen politische Themen sind und was bandseitig für die Zukunft geplant ist, erfahrt ihr hier im Interview. Frontsänger Izzy Bürgermeister-Lippenstift, Gitarrist Ryk Redface und Schlagzeuger Silverstar Spike haben mir ein paar interessante Fragen beantwortet.
Euer Musikstil lässt sich schwer beschreiben und vor allen Dingen in keine Schublade stecken. Beschreibt ihn mir doch mal aus eurer Sicht.
Unsere Musik lässt sich tatsächlich sehr schwer in eine Schublade packen. Unsere Bandbreite lässt sich eher als buntes Regal der Freude und Spannung beschreiben; mit vielen Schubladen. Da wir über die Musik wichtige Inhalte vermitteln, dient diese eher als Transportmittel. Man kann also tanzen und gleichzeitig nachdenken! Ist das nicht toll? Dabei bedienen wir uns vor allem Rock/Pop-Elementen und mischen ohrwurmverdächtige Melodien mit eindringenden Rap-Parts. Wir sind weniger daran interessiert einen Sound zu kreieren, als vielmehr unser Publikum zu überraschen. So reiht sich ein Punk-Song zwischen Schlager, Swing und Pop.
In der Öffentlichkeit tragt ihr Masken, außerdem hat jeder von euch einen Künstlernamen. Warum?
Unsere Recherchen haben gezeigt, dass das Auge mithört. Wenn Du also ein Festival besuchst, welches mit dutzenden Bands und Musiker*innen aufwartet, dann bleiben die optisch herausstechenden noch einmal mehr im Gedächtnis. Außerdem erregt ein besonderes Aussehen noch einmal mehr Aufmerksamkeit und die Zuschauenden bleiben länger dran. Und wie man unserem Bandnamen entnehmen kann, spielen wir mit der Fantasie und den nächtlichen Rekapitulationen der Menschen.
Während andere Radiokünstler*innen ihr Publikum nur zu gerne in Traumwelten entführen, holen wir sie dahin zurück, wo sie sich eigentlich die ganze Zeit befinden: in hier und jetzt. Man kann sich unserer Auffassung nach nicht immer bloß wegträumen. Manchmal ist es auch wichtig an aktuell stattfindende Ereignisse erinnert zu werden. Ob es der Klimawandel ist, Menschen auf der Flucht, der Aufstieg von Rechtspopulisten oder die leer werdende Anti-Pickelcreme. Und dazu bietet es sich natürlich an, wie die Albträume der Leute auszusehen. Gleichzeitig genießen wir damit einen Schutz unserer Persönlichkeiten. Nicht alle wollen uns auf der Straße ein Stück Erdbeertorte anbieten.
Eure aktuelle Single erschien am 11. September und trägt den Namen „Wo bist du, Xavier
Naidoo?“. Die Single hat ja ganz schön für Aufruhr gesorgt…
Provokation ist unser aller Vor- und Nachname innerhalb der Band. Wir sitzen oft gemeinsam im Proberaum, lesen bei einer Weinschorle die aktuellen Nachrichten und fangen an uns in die wirrsten Köpfe der wirrsten Wirrköpfe hineinzuversetzen. So entsteht für uns neues Material. Einer der erfolgreichsten Sänger des Landes glaubt an eine menschenfressende Elite? Ein veganer Kochbuchautor, welcher überraschend gut Schafe imitieren kann, träumt im Samurai-Outfit von der Weltherrschaft? Gefundenes Traumfressen für die Traumfresser!
Xavier Naidoo selbst teilte euer Video in einer Telegram-Gruppe, außerdem bekamt ihr Drohungen von seinen Anhängern. Wie geht ihr damit um?
Das hat uns wenig überrascht. Viele Verschwörungschwurbler lieben es geradezu ihre Gesichter in Kameras zu halten und die ungeteilte Aufmerksamkeit zu erhaschen. Darum teilen sie es auch gerne mit, wenn über sie gesprochen oder wie in unserem Fall gesungen wird. Nennen wir es Crosspromo. Die Drohungen wirken auf uns wie ein Beweis dafür, dass wir ihnen zu Nahe getreten sind. Satire soll desillusionieren und demaskieren. Von unseren Liedern fühlen sich regelmäßig viele Menschen persönlich angegriffen und viele tun dann so, als hätten wir ihr Erstgeborenes geschwängert und danach mit saurer Sahne auf 180 Grad in den Backofen geschoben. Dabei versuchen wir ja nur auf aktuelle Missstände und Ambivalenzen hinzuweisen. Wir erheben den moralischen Mittelfinger und nennen das Kunst. Nicht jeder erträgt das. Aber uns spornen Reaktionen an; egal, welcher Natur. Es gibt nichts schlimmeres für Künstler, als ignoriert zu werden.
Die aktuelle Single ist nicht euer einziger Song, in dem ihr politische Themen – meist sehr sarkastisch – verpackt. Ist es schon vorgekommen, dass dieser Sarkasmus nicht verstanden wurde und somit die „falschen“ Leute eure Musik hören und mögen?
Tatsächlich hatten wir bereits sehr rechts wirkende Personen im Publikum. Songs wie „Lachmann“, „Mein Freund Landolf“ oder auch „Die Mauer“ scheinen einige Leute dieser Szene wirklich verwirrt zu haben. Die standen in der ersten Reihe und haben geklatscht. Oder auch Instagram-Follower, welche sonst AfD-Parolen und Patrioten-Quatsch teilen, liken plötzlich unsere ironischen Statements. Solange sie friedlich sind, Eintritt zahlen, unsere Songs streamen und unseren Social Media Traffic pushen, sind alle Menschen herzlich willkommen. Vielleicht lernt der eine oder andere Fascho ja noch etwas. Aber auch die linke Seite ist mit uns noch nicht warm geworden. Wir stellen uns eben nicht auf die Bühne und skandieren „Nazis raus!“ oder „Alerta, alerta!“, auch wenn wir diese Ansichten fühlen. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht nicht auf „die Bösen“ zu zeigen, sondern diese mit ihren eigenen Argumenten sprachlos zu machen. Es ist wie immer der berühmte Spiegel, den wir der Gesellschaft über die Rübe ziehen.
Zurück zur Single. Kann man diese als Startschuss für ein neues Album verstehen?
Unser Album „Wir sind die Guten“ wird ja nun 1 Jahr jung und wir sind mega glücklich, dass wir dieses in den Äther werfen konnten. Aber in Zukunft wollen wir eher an einzelnen Songs arbeiten und diese als Single veröffentlichen. Dies ist vor allem dem Streaming- und Playlisten-Trend zu verdanken aber es bietet auch die Möglichkeit, viel Aufmerksamkeit auf einen einzelnen Song mit Musikvideo zu konzentrieren. Wir haben wieder eine ganze Reihe neuer Ideen in der Pipeline und man darf sich aufden einen oder anderen witzigen Kracher freuen. Jeden Shitstorm nehmen wir dann als Rückenwind.