Etwa 506 Jahre nach Martin Luther hat Thüringen neue Influencerinnen der Dringlichkeit: Zwiebelprinzessin und Kloßmarie. Diese Ikonen hiesiger Kulinarik mahnen, etwas zu verändern. Von den Erfurter Domstufen aus wenden sie sich an das Volk mit den „Elf -das-Klimawandelt-sich-rasant-verdammt-wie-gehen-wir-damit-undmiteinander-um-dideldum-Geboten“. Wobei das Volk aus dem jeweiligen Theaterpublikum besteht, die Erfurter Domstufen aus Holz und Zwiebelprinzessin sowie Kloßmarie die Hauptfiguren des ebenso unterhaltsamen wie aufrüttelnden Stücks „Die unfreiwillige Feuerwehr“ sind.
Klimafreundliche Heldinnenreise
„Eigentlich ist das Stück eine klassische Heldinnenreise“, erzählt Hannah Schlüter an einem heißen, trockenen Spätsommertag. Die 31-Jährige ist Autorin, Regisseurin und Co- Produzentin des Stücks, dessen Skript mit einem Stipendium der VG Wort im Rahmen von Neustart Kultur entstand. Schlüter will zeigen „dass die Zukunft noch nicht so verbrannt ist, wie manche Wälder. Dass die Feuer löschbar sind, dass es eine Zukunft geben kann – wenn alle mithelfen.“ Und so schickt sie ihre beiden Hauptfiguren auf die besagte Heldinnenreise – nicht durch das Mittelmeer wie Odysseus, nicht durch die Extremadura wie Don Quijote, nicht durch den mittleren Westen wie Thelma und Louise. Sondern durch den westlichen Osten, sprich: durch Thüringen. Auch nicht mit dem Schiff, nicht auf dem Pferd, nicht im Auto. Sondern, klimafreundlich, zu Fuß.
Zwiebelprinzessin und Kloßmarie in Aktion
Die zentrale Szene spielt sich dabei im bis dato wenig theatral erwähnten Unterkatz bei Schmalkalden ab. Denn dort ist es, wo die beiden Heldinnen unfreiwillig zur Feuerwehr werden, und die brennende Tanzlinde löschen müssen. Ob zuvor in der Klassikstadt Weimar oder in der Kloßhochburg Heichelheim, ob später am Thüringer Meer, in den Saalfelder Feengrotten oder eben final auf dem Erfurter Domplatz: Zwiebelprinzessin und Kloßmarie machen allerlei irrwitzige Begegnungen mit Klimaforscherinnen und -forschern, Müttern, Borkenkäfern.
Die Episoden haben stets das Potenzial, Menschen ab etwa 12 Jahren bestens zu unterhalten und zugleich nachdenklich zu machen. Denn die Auswirkungen der Klimakrise treffen nicht nur den afrikanischen Kontinent oder die Pole, sondern eben auch das – längst nicht mehr so – grüne Herz Deutschlands.
Feuerwehrauto und Figuren im Rampenlicht
Selten sind dabei Figuren und Bühnensetting so gleichberechtigt prominent wie in dieser Inszenierung: „Als ich vor Jahren in Jena-Lobeda zum ersten Mal bei einem Konzert am TheaterWAGEN der Freien Bühne Jena war, hat das Feuerwehrauto, das die Bühne zieht, mich sofort begeistert“, verrät Schlüter. „Ein Theaterstück zum Thema Klimawandel fand ich in Zeiten von Waldbränden für dieses Fahrzeug und seine Bühne nur logisch und notwendig.“ Sonst seit Studienzeiten und dem „TP2-Talentpool“-Programm für Filmnachwuchs als Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin verschiedener Formate tätig, entwickelte Schlüter ab September 2022 den Stücktext gemeinsam mit der freiwilligen Kompanie der unfreiwilligen Feuerwehr im Probenprozess weiter bis zur Premiere.
„Die unfreiwillige Feuerwehr“ auf ungewöhnlicher Bühne
Die Spielstätte zählt gewiss zu den coolsten Bühnen der Republik: eben ein Feuerwehr- Oldtimer mit Zirkuswagen-Anhang, liebevoll vom Verein der Freien Bühne Jena unter Leitung von Tillmann Lützner restauriert und mithilfe eines Crowdfundings zur fahrbaren Bühne umgebaut. Im Mai feierte „Die unfreiwillige Feuerwehr“ mit großem Erfolg Premiere. Seitdem war das Stück als Gastspiel auf dem Auerworld-Festival gefragt und nun finden Ende September weitere Aufführungen im Hauptquartier der Freien Bühne am Kulturschlachthof in Jena statt, mit sechs Schauspielenden, die die insgesamt 13 großen und kleinen Rollen spielen. Ende Oktober geht „Die unfreiwillige Feuerwehr“ noch einmal auf Reisen zum Thüringer Nachhaltigkeitsforum am Eiermannbau in Apolda und beschließt damit ihre Saison für 2023. Vorbei ist es damit aber noch lange nicht: Über den Winter plant die Truppe ihre Sommertour für 2024 mit weiteren Gastspielen – denn schließlich bleibt das Thema im doppelten Sinne brandaktuell.
Hard Facts:
- Die unfreiwillige Feuerwehr: 29. und 30. September sowie 1. Oktober
- Kulturschlachthof | Jena
- Eiermannbau: 25. Oktober | Apolda
- Mehr: www.freie-buehne-jena.de