Nach fast drei Jahren voller Corona-bedingter Einschränkungen ist die Kultur zurück. Auch Clueso, der sich mit einem Weihnachtskonzert aus 2022 verabschiedete und auf 2023 schaut: Auf dem Plan des Erfurter Musikers stehen eine Kollaboration mit einer bisher noch geheimen Band, Material für ein ganz besonderes Album, ein weiterer Gastauftritt beim TV-Format „Sing meinen Song“ und vielleicht sogar ein Festivalbesuch mit seinem Vater, wie er im Interview mit dem t.akt-Magazin erzählt.
„Wir haben Schwein gehabt – und ein sehr treues Publikum“
Das letzte Konzert des Jahres war ausverkauft, das Weihnachtskonzert in der Erfurter Messehalle. Was macht das mit einem – nach der Corona-Pandemie, nach Absagen – wenn da „Ausverkauft“ steht?
Ja, das ist crazy. Als es wieder losging mit dem Livespielen und wir die ersten Touren angesetzt haben, hieß es: Dort geht das nicht, da ist es erlaubt, da verboten. Wir hatten hohe Kosten. Und dann kam keiner. Wir standen am Anfang bei 500 Tickets, als wir die Tour in Städten, die damals sehr gut funktioniert hatten, angekündigt hatten – wie Dresden oder so. Aber wir haben Schwein gehabt – und ein sehr treues Publikum, das muss man sagen. Ich bin megahappy.
Die Sommertour 2023: Was haben wir da zu erwarten? Worauf kann man sich freuen?
Das Domplatz-Konzert ist quasi wie ein Festival, ein Open-Air. Ich habe sau viele Freunde und Freundinnen, die vorbeikommen. Wie letztens: Plötzlich stand Kelvin Jones, den ich bei „Sing meinen Song“ kennengelernt habe, auf der Bühne. Und ich dachte: Was macht der denn hier? Auch Elif, die ich bei der Show näher kennengelernt habe, war zu Gast. Oder Mathea, Lotte. Und plötzlich hat das Festivalcharakter, obwohl es eine Solo-Show ist. Jetzt muss ich nur gucken, ob ich die Messlatte so hochhalten kann.
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Was nimmst du aus dem alten Jahr mit ins Neue?
Boah. (Überlegt) Ich glaube, vielen geht es so, dass Freundschaft einen krasseren Fokus hat. Dass sie als Währung gesehen wird, weil alles andere so ungewiss ist und wir auch wirklich krasse Zeiten haben, in alle Richtungen. Plötzlich kommt eine Pandemie rein – zwei Jahre Ruhe in unserem Bereich. Dann haben wir das Thema im Iran, wo Leute weggesperrt werden, was mich nicht kalt lässt. Und wir haben das Thema in der Ukraine, unter dem auch viele russische Freunde von mir leiden. Ich hoffe, dass sich da die Konflikte lösen und irgendwie eine Aussicht auf Frieden ist. Das wünsche ich mir am meisten, ehrlich gesagt. Und ich nehme mit, dass man sich gegenseitig hilft. Das haben wir gerade erlebt. Wir sind ein enger Kreis von Deutschen und Ukrainern, haben eine Familie aufgenommen, neun Monate lang WG-Situation. Jetzt haben sie eine Wohnung. Das schweißt zusammen.
Was steht musikalisch 2023 an?
Ich überlege, ein Livealbum rauszubringen. Wir haben jetzt so viel mitgeschnitten. Dann kommt ein Feature raus mit einer sehr großen Band, die ich sehr, sehr bewundere. Darüber darf ich noch nicht sprechen, aber es werden alle mitbekommen. Der Song ist absolut clubtauglich und wird alles wegbrennen. Ich freu mich jetzt schon auf das Video. Außerdem bin ich noch mal bei „Sing meinen Song“ zu Gast, weil die eine Jubiläumssendung machen. Und dann: Sommerfestivals und nebenbei einfach ein paar Songs schreiben. Die Frage ist, ob ich immer mal zwischendrin einen raushaue oder konzentriert ans Album gehe. Wobei ich mir Zeit lassen will, weil das nächste Album das zehnte ist. Und das Zehnte soll speziell sein.
Wie schaffst du es, neugierig, offen und vielfältig zu bleiben?
In erster Linie, weil mich Musik begeistert, die rauskommt. Und weil es mich langweilen würde, noch mal zu machen, was ich gerade gemacht habe. Das wäre einfach nicht Clueso. Also wird das nächste Album sicher nicht wie „Album“ klingen.
Schubladen sind also eher nicht so deins.
Ähm, jein. Denn es bleibt ja am Ende Clueso. Das ist inzwischen eine eigene Schublade. Ich habe meine eigene Art zu schreiben. Aber das klassische „So, das ist jetzt Rock“, ist nicht mein Ding. Das hört man auf den ersten Alben auch. Ich entwerfe Konzepte, die dann aber oftmals eine Eigendynamik entwickeln.
Du hast gerade eben Festivals angesprochen – und in einem früheren Interview erzählt, dass du deinen Papa zu einem mitnehmen wolltest und er sogar im Auto übernachtet…
Genau, aber er hatte Rückenschmerzen. Deswegen machte er das nicht. Aber: Er hätte eiskalt im Auto auf dem Parkplatz gepennt und hätte sich Bands angeguckt: AnnenMayKantereit hatte er sich aufgeschrieben, Kraftklub wollte er unbedingt sehen und Marteria. Er hatte so seine Favoriten. Aber er will das noch machen und ich nehme ihn mit.
Apropos Eltern. Meinst du, dass man mit Streamingdiensten und TV-Formaten wie „Sing meinen Song“ eine größere Zielgruppe erreicht?
Ja, auf jeden Fall. Die Sendung ist eine Megashow. Die Leute, die mich jetzt bei „Sing meinen Song“ neu entdecken, können sich die Alben reinziehen und merken: Krass, das gibt’s noch und das gibt’s noch. Es gibt so viel Zeug zu entdecken. Und deswegen freue ich mich auch, noch mal da zu sein.
Du arbeitest viel mit jüngeren Künstlerinnen und Künstlern zusammen. Was ziehst du daraus?
Also, erst mal muss mir das Werk gefallen oder die Type. Es muss gar nicht so sehr meine Musikrichtung sein. SDP zum Beispiel war früher gar nicht so mein Ding, aber ich habe die kennengelernt und da ist einfach alles sehr stimmig. Heute sind das sehr enge Freunde von mir. Elif auch. Sie fand ich schon damals cool, als sie nur mit Gitarre gespielt hat und eher als klassische Songwriterin am Start war. Einfach wahnsinnig spannend, wie sie als Person ist. Oder Bausa – ein begnadeter Textschreiber, der zehn Minuten mit seinem Handy in der Ecke hinterm Vorhang sitzt und mit einem 16-Zeiler zurückkommt, der es in sich hat. Oder das Feature im Januar mit der Band, die wir noch nicht nennen dürfen. Das wird auf jeden Fall fett.
Bei einem Konzert hast du Tausende Menschen auf einem Fleck, die dir die ganze Zeit lauschen. Platten hingegen hören wir teilweise gar nicht mehr durch. Haben wir eine viel zu kurze Aufmerksamkeitsspanne durch eine wahnsinnig schnelllebige Gesellschaft?
Ja, aber auch viele Möglichkeiten. Mir geht es ja genauso, selbst wenn ich Playstation zocke, könnte ich nebenbei noch Netflix gucken (lacht). Weil einfach so viel passiert. Andererseits: Live ist es zum Glück nicht so. Das nimmt dich anders mit. Du bist halt mit deinem Körper da und das ist was Außergewöhnliches.
Und da kann auch mal ein Ton daneben gehen. Ist das der Reiz des Ungewissen auf der Bühne? Durchaus. Es ist schizophren. Denn einerseits denke ich: Oh, bitte lass alles glattgehen, andererseits lebt es auch, wenn es eben lebt. Wenn was passiert und die Leute das mitbekommen. Deswegen haben wir eine sehr offene Show. Wir haben allen Hands (Anm. d. Redaktion: helfende Hände) gesagt: Ihr könnt auf die Bühne kommen, irgendwas umbauen, Sachen wegnehmen, abbauen. Diese Werkstatt, die normalerweise versteckt ist, ist quasi zum Publikum gerichtet. Das heißt, die Leute können sehen, wie sie arbeiten. Es gibt eine Bar auf der Bühne, wo ab und zu mal ein Drink ausgeschenkt wird. Das sind dann Familienangehörige, Freunde oder eben Feature Artists (Anm. d. Red.: befreundete Künstlerinnen und Künstler), die auf der Tour waren. Ich habe eine sehr offene Show, das heißt, ich kommuniziere auch die Fehler auf der Bühne. Die Leute sind einfach live dabei.
Du hast es bereits anklingen lassen: Iran, Ukraine, du interessierst dich politisch. Fließt das in deine Musik ein?
Ja, durchaus. Wobei ich merke, wie sich das Rad der Zeit dreht. Ich schreibe dann eher über die Menschlichkeit. Der Song „Alles zu seiner Zeit“ etwa ist inspiriert von einem russischen Dichter. Wenn man da ein bisschen mit seinem Herzen hört und sieht, erschließen sich manche Sachen einfach, die für mich total logisch sind. Es fließt also ein, auf jeden Fall.
Hard Facts:
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